Sehr geehrte Damen und Herren,
in der aktuellen Ausgabe der "mobil" baten Sie Ihre LeserInnen, Ihnen Erfahrungen zur den neuen Regelungen der Gesundheitsreform mitzuteilen.
Vielleicht kann ich mit diesem Schreiben einen Beitrag leisten, obwohl ich ihn nicht in der besten Laune geschrieben habe.
Ich bin 34 und sitze wegen einer cP, die im Kindesalter nicht erkannt wurde, im Rollstuhl. Meine Krankheit begann, als ich 2 Jahre alt war und wurde erst diagnostiziert, als ich 11 war und wegen der nicht erfolgten Behandlung schon an gravierenden
Gelenkversteifungen in allen Gelenken litt. Das ich seitdem nicht mehr an die Schulmedizin glaube, ist eine weitere Folge.
Der entzündliche Krankheitsverlauf ist "ausgebrannt" und eine medikamentöse Therapie ist deshalb sinnlos. Gelenkersatz wäre ebenfalls ohne praktischen Nutzen,
da alle Gelenke betroffen sind.
Die Ärzte, die ich in den letzten Jahren aufgesucht habe, stehen diesem Problem eher hilflos gegenüber, da sie auf eine Akutmedizin hin ausgebildet sind. Ich
gerate meist an Ärzte, die meinen Zustand nicht verstehen und in blinden Aktionismus verfallen.
Da ich trotzdem mit dieser Krankheit leben muss, habe ich mir eigene Wege gesucht. Ich habe z.B. eine Heilpraktikerin gefunden, die selbst einmal an Rheuma
gelitten hat, die Krankheit also von innen kennt, und die mich mit der "Balancing- Methode" (eine Massagemethode) behandelt. Durch diese Methode wird
meine Beweglichkeit erhalten und sie hilft sehr gut gegen Schmerzen, ohne das ich Medikamente nehmen muss.
Ich möchte keine Schmerzmittel nehmen, weil ich mit dem Schmerz arbeite, ich betrachte ihn als Körpersprache und ich weiß dann, wo ich mich überanstrengt habe, und wie ich mein Leben zu gestalten habe. Außerdem war ich bisher in einem Gesundheitszentrum,
wo ich an Geräten und mit Hilfe von Krankengymnasten Muskelaufbau und -erhalt betreiben konnte. Das hilft auch gegen Osteoporose, die man ja zwangslaufig
bekommt, wenn man im Rollstuhl sitzt. Beide Maßnahmen, die für mich die beste Mischung waren, habe ich selbst bezahlen müssen, rund 100 Euro im Monat.
Da mein gesundheitlicher Zustand damit auf einem erträglichen Level bleibt, muss ich nicht einmal im Quartal zum Arzt, sondern höchstens zweimal im Jahr. Obwohl ich einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen aG und H habe, und Pflegegeld der höchsten Stufe erhalte, gelte ich also nicht als chronisch krank - was ich eigentlich nur als zynisch betrachten kann.
Dazu kommt noch ein weiteres Problem: ich bin zur Zeit arbeitslos und hier haben mich noch andere Sparmaßnahmen der Bundesregierung betroffen. Im November 02 konnte ich als Diplom-Sozialarbeiterin im Rahmen einer AB-Maßnahme in einem
Arbeitslosenzentrum anfangen. In Münster wurden AB-Maßnahmen nur an Schwerbehinderte vergeben. Eigentlich sollte ich heute noch in dieser Maßnahme
sein. Im Rahmen der Arbeitsmarktreform sind AB-Maßnahmen jedoch auf höchstens neun Monate befristet worden, damit die Betroffenen keinen neuen
Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten. So war es auch bei mir und ich erhalte jetzt Arbeitslosenhilfe. Da ich als Sozialarbeiterin im Rollstuhl (Sozialarbeit
wird in allen Bereichen gekürzt), wahrscheinlich keine Arbeit finden werde, kann ich damit rechnen, im nächsten Jahr zu den ALG II - Empfängerinnen zu gehören und mit 345 Euro auskommen oder in einen Niedriglohn-Job ausweichen zu müssen.
Ich habe inzwischen meine Mitgliedschaft im Gesundheitstreff gekündigt und besuche meine Heilpraktikerin nicht mehr so oft.
Ich gehöre eigentlich nicht zu den Menschen, die gleich aufgeben, aber bei der Situation in Deutschland, in der überall an Sozialleistungen gekürzt werden, auf die ich aufgrund meiner Benachteiligung als Frau im Rollstuhl angewiesen bin, gehen mir die Ideen aus.
Wenn Menschen, die wegen ihrer Krankheit nicht zu den Top-Leistungserbringern gehören können, arm gemacht werden, ist das ganz sicher ein Thema für die
Rheumaliga. Rheuma hat eben wirklich viele Gesichter!
Es wäre außerdem schön, wenn in diesem Zusammenhang auch die Ideen von attac einmal unter die Lupe genommen würden.
Aber ich habe auch viel Lob an die mobil-redaktion,
toll, wie Sie über die Krankheit und Therapiemethoden
informieren. Aber es ist mir manchmal zu medizinisch
und zu wenig sozialkritisch.